Erster Verfassungsentwurf der Christlichsozialen Partei Mai 1919

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Am 14. Mai 1919 brachten die christlichsozialen Abgeordneten Michael Mayr, Rudolf Ramek, Georg Gimpl, Florian Födermayr, Wilhelm Miklas, Michael Paulitsch einen Antrag mit dem Verfassungsentwurf der Christlichsozialen Partei in der Konstituierenden Nationalversammlung ein. Damit war die Christlichsoziale Partei die erste, die ihre Vorstellungen für eine neue Verfassung in Form einer parlamentarischen Initiative einbrachte. Als Antragsteller schienen Abgeordnete aus folgenden Ländern auf: Tirol, Salzburg, Steiermark, Oberösterreich, Niederösterreich und Kärnten auf. Es fehlten Wien und Vorarlberg. Burgenland gab es in der heutigen Form noch nicht.

Die Christlichsoziale Partei nahm damit eine klare Position in der Auseinandersetzung darüber ein, ob der neue Staat zentralistisch oder bundesstaatlich organisiert werden sollte. Das Bekenntnis ging – nicht zuletzt auf Grund des Druckes der Bundesländer, deren Separationsbestreben und damit zur Erhaltung des Bestandes Deutschösterreichs – klar in Richtung Bundesstaat. Die Christlichsozialen schufen damit eine wichtige Grundlage für das Zustandekommen der Bundesverfassung vom 1. Oktober 1920. Dieser Antrag der christlichsozialen Abgeordneten war – wie erwähnt – die erste parlamentarische Initiative zur Verfassung. Schon der erste Satz ließ erkennen, in welche Richtung die Vorstellungen der Christlichsozialen gingen: „Wir freien Völker der selbständigen Länder Österreich nieder der Enns, Österreich ob der Enns, Salzburg, Steiermark, Kärnten, Tirol, Vorarlberg, Heinzenland und der Freistaat Wien schließen uns aus eigenem Antriebe und aus freiem Entschlusse zum deutschen Bundesfreistaate Österreich zusammen und geben uns im Vertrauen auf Gottes gnädigen Beistand nachstehende Verfassung.“

In diesem Entwurf hieß es, dass die Länder selbständig sind, soweit ihre Selbständigkeit nicht durch die Bundesverfassung eingeschränkt ist. Die Länder üben alle Rechte aus, die nicht durch die Bundesverfassung der Bundesgewalt übertragen sind. Die Länder sind gleichberechtigt und stehen in unauflöslicher Wehrgemeinschaft zueinander und sind zur gemeinsamen Verteidigung gegen jeden feindlichen Angriff verpflichtet. Die Länder bilden ein einheitliches Zoll- und Wirtschaftsgebiet. Innerhalb des Bundesfreistaates dürfen keine Binnenzölle oder Verkehrsbeschränkungen aufgerichtet werden. Gleichzeitig präsentierte und kommentierte der Salzburger Landeshauptmann-Stellvertreter Franz Rehrl den Verfassungsentwurf der Christlichsozialen Partei in der Salzburger Chronik. Der Entwurf war nach Ansicht Rehrls noch verbesserungsbedürftig war. Danach sollte Deutschösterreich als Bundesstaat der oben genannten selbständigen Länder konstituiert werden. In diesem Gesamtstaat müssten die Länder die volle Souveränität haben, soweit diese nicht der Bundesverfassung widersprach. Neben dem Nationalrat sollte ein Ständerat geschaffen werden, der aus je drei Vertretern aus jedem Bundesland zusammengesetzt sein sollte, die vom jeweiligen Landtag aus seiner Mitte nach dem Verhältniswahlrecht zu wählen waren. Beide Kammern gemeinsam sollten den Präsidenten und Vizepräsidenten des Bundesstaates für eine Amtsdauer von zwei Jahren, die Bundesregierung und die Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes und des Obersten Gerichtshofes wählen. Gesetze sollten nur durch einen übereinstimmenden Beschluss beider Kammern zustande kommen. Der Staat, der nach Ansicht Rehrls fälschlich „Deutschösterreich“ genannt worden sei, müsse „Freistaat Österreich“ heißen und könne nicht zentralistisch regiert werden. Rehrl betonte, dass die Republik Deutschösterreich „in ihrer jetzigen Form an einem wesentlichen Konstruktionsfehler leidet. Sie wurde nicht nach dem freien Entschlusse der Bevölkerung oder der Länder, die sie umfasst, geschaffen, sondern nach einem doktrinären Konzepte aufgebaut, das einem lebensfähigen Organismus nicht entspricht“.

(Univ.-Prof. Dr. Franz Schausberger, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirates des KvVI)

Entscheidende Protagonisten im Kampf um die neue Verfassung aus den (Bundes-)Ländern: v.l. Franz Rehrl aus Salzburg (Foto OeNB) und Michael Mayr aus Tirol (Foto Parlament).

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