„Der unmöglichste Job der Welt.“ Die UNO und ihre Generalsekretäre in der Epoche des Kalten Krieges
Wolfgang Mueller
Als am 21. Dezember 1971 der österreichische Botschafter bei der Organisation der Vereinten Nationen (UNO) und ehemalige Außenminister Kurt Waldheim an seinem 53. Geburtstag vom UNO-Sicherheitsrat für das Amt des Generalsekretärs vorgeschlagen und am folgenden Tag von der Generalversammlung gewählt wurde, konnte die Weltorganisation auf ein spannungsgeladenes Vierteljahrhundert zurückblicken.
Ihr Ziel der Wahrung des Weltfriedens war allerdings bedeutend älter und hatte seit der Frühneuzeit Denker wie Abbé Charles de Saint-Pierre und Immanuel Kant zu grandiosen Konzepten für entsprechende Organisationen inspiriert. Der 1815 von Zar Alexander I. angeregten Heiligen Allianz der christlichen Monarchen waren schließlich alle Staaten Europas bis auf Großbritannien, den Kirchenstaat und das Osmanische Reich beigetreten. Im 19. Jahrhundert waren internationale Organisationen wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz zur Verwundetenpflege in kriegerischen Konflikten und der Ständige Schiedshof im Haag zur friedlichen Beilegung von Streitfällen gegründet worden.
Nach der Katastrophe des Ersten Weltkrieges sollte der auf Anregung des US-Präsidenten Woodrow Wilson am 10. Jänner 1920 konstituierte Völkerbund neue Kriege verhindern, scheiterte aber trotz beeindruckenden Erfolgen an der fehlenden Bereitschaft der Mitgliedstaaten, die zur Verwirklichung der hochgesteckten Ziele erforderlichen Zwangsmittel gegen Aggressoren einzusetzen. Dabei war der Völkerbund sogar „konsequenter“ als seine Nachfolgerin, da einerseits Mitglieder an Abstimmungen in sie betreffenden Streitfällen nicht teilnehmen durften und andererseits zumindest ein Aggressor tatsächlich aus dem Völkerbund ausgeschlossen wurde. Andere kamen dem aber zuvor, indem sie freiwillig ihre Mitgliedschaft beendeten.
In den Jahren des Zweiten Weltkrieges fiel es Großbritannien und den USA zu, eine Nachfolgeorganisation für den April 1946 liquidierten Völkerbund zu initiieren. Die Prinzipien wurden zum Teil der Atlantik-Charta vom 14. August 1941 entnommen, in der sich die beiden westlichen Führungsmächte gegen Gewalt und Krieg, gegen territoriale Veränderungen ohne Mitsprache der Bevölkerung, für eine freie Wahl der Regierung und für die Freiheit von Furcht und Not ausgesprochen hatten. Der Name der neuen Organisation stammte von jenem Bündnis, das sich am 1. Jänner 1942 unter der Bezeichnung „United Nations“ im Kampf gegen Hitler-Deutschland, Italien und Japan zusammengefunden hatte und dem bis Kriegsende 47 Staaten beitraten, die auch 1945 zusammen mit vier weiteren die Gründerstaaten der UNO bildeten.[1]
Grundlagen und Gründung der Vereinten Nationen
Im Zuge der Konferenzen von Dumbarton Oaks im August bis Oktober 1944, von Jalta im Jänner/Februar 1945 (wo im Gegensatz zu einem weit verbreiteten Mythos keine Teilung Europas beschlossen wurde, sondern die USA versuchten, eine solche zu verhindern[2]) und von San Francisco im April bis Juni 1945 war die Charta abgestimmt worden. Das am 26. Juni 1945 unterzeichnete Dokument beinhaltet Ziele, Grundsätze, Aufgaben, Verfahrensrichtlinien, einen Plan der Strukturen, Rechte und Pflichten der Weltorganisation bzw. ihrer Mitgliedstaaten.
Als Ziele werden die Wahrung des Weltfriedens, die Förderung zwischenstaatlicher Beziehungen auf der Grundlage von Gleichberechtigung und Selbstbestimmung, internationale Zusammenarbeit zur Förderung des sozialen Fortschritts und die internationale Abstimmung von Maßnahmen genannt; die für alle Mitglieder verbindlichen Grundsätze sind die souveräne Gleichheit aller Mitglieder, die Erfüllung aller Verpflichtungen nach Treu und Glauben; die friedliche Beilegung von internationalen Streitigkeiten; die Unterlassung der Androhung oder Anwendung von Gewalt; und die Verpflichtung zum Beistand bei jeder Maßnahme der UNO.
Die UNO übernahm vom Völkerbund die zweiteilige Grundstruktur. Oberstes Entscheidungsgremium zur Aufrechterhaltung des Weltfriedens ist der Sicherheitsrat, bestehend aus fünf Großmächten als permanenten Mitgliedern, die in Sachfragen, aber nicht in Verfahrensfragen über ein Vetorecht verfügen. Die Sowjetunion hatte überdies darauf bestanden, dass das Vetorecht auch dann gelten solle, wenn das betreffende Sicherheitsratsmitglied Parteienstellung in einem Streitfall hatte,[3] was den permanenten Mitgliedern quasi sakrosankten Status zukommen ließ. Sie konnten zwar in der Versammlung und im Rat kritisiert werden; da bindende Resolutionen aber nur im Rat beschlossen werden konnten, waren Zwangsmaßnahmen im Allgemeinen nicht zu erwarten. Neben den fünf „Permanenten“ bestand bzw. besteht der Sicherheitsrat aus sechs bzw. seit Dezember 1963 zehn nichtständigen Mitgliedern (davon drei aus Afrika, zwei aus Asien, zwei aus Lateinamerika, zwei aus dem „Westen“, d.h. Westeuropa inkl. Kanada, Australien, Neuseeland und Israel, eines aus Osteuropa), wovon jedes Jahr die Hälfte auf zwei Jahre gewählt wird. Der Sicherheitsrat kann bindende Resolutionen verabschieden und militärische Zwangsmaßnahmen laut Kapitel VII der Charta gegen einen Aggressor anordnen.
Die Generalversammlung ist befugt, alle Fragen zu erörtern, die ihr ein Mitglied vorlegt und die nicht aktuell vom Sicherheitsrat behandelt werden, und dazu nichtbindende Resolutionen, d.h. Empfehlungen, verabschieden. Im Zuge des Korea-Krieges beschloss die Generalversammlung am 3. November 1950 die Resolution „Uniting for Peace“, worin sie sich ermächtigte, im Falle einer Blockade des Sicherheitsrates selbst Maßnahmen zur Wiederherstellung des Weltfriedens zu erörtern.[4]
Der oberste Beamte der Vereinten Nationen, der Generalsekretär, wird von der Generalversammlung auf Empfehlung des Sicherheitsrates gewählt; er unterbreitet dem Sicherheitsrat jede Angelegenheit, welche die Erhaltung des Weltfriedens gefährden könnte, und muss wie das gesamte Personal des Sekretariats laut Artikel 101 ein „Höchstmaß an Leistungsfähigkeit, fachlicher Eignung und Ehrenhaftigkeit“ aufweisen.[5]
Neben dem Sekretariat, der Generalversammlung und dem Sicherheitsrat gehören ferner der Wirtschafts- und Sozialrat, der Treuhandrat und der Internationale Gerichtshof zu den Hauptorganen der UNO, hinzu kommen zahlreiche Nebenorgane wie etwa das Kinderhilfswerk UNICEF und unabhängige Sonderorganisationen wie zum Beispiel die Weltgesundheitsorganisation WHO.
Die zur Planung und Durchführung militärischer Einsätze vorgesehene Militärorganisation für UNO-Streitkräfte wurde aufgrund gegensätzlicher Interessen der Großmächte nie geschaffen, und der von den USA 1946 vorgebrachte Baruch-Plan zur Unterstellung aller Atomwaffen unter die Kontrolle der Vereinten Nationen scheiterte an der Ablehnung durch die UdSSR, die stattdessen eigene Atomwaffen entwickelte.
Die UNO und ihre Generalsekretäre in der Zeit des Kalten Krieges
Zum ersten Generalsekretär wurde, nachdem der prominente belgische Außenminister und Vorsitzende der UNO-Generalversammlung Paul Spaak und sein kanadischer Kollege Lester Pearson keine sowjetische Unterstützung gefunden hatten, am 1. Februar 1946 der vormalige norwegische Außenminister Trygve Lie, ein Sozialdemokrat, gewählt. Seine Amtszeit war anfangs dem Aufbau der Weltorganisation und bald der Lösung aktueller Fragen gewidmet, wie etwa der Herbeiführung des Teilungsplanes für Palästina 1947, der von den benachbarten arabischen Staaten aber verworfen und mit einem Krieg zum Zweck der Vernichtung des im Mai 1948 ausgerufenen jüdischen Staates beantwortet wurde. Die UNO forderte eine sofortige Waffenruhe und war an der Vermittlung des Waffenstillstandes und an dessen Überwachung beteiligt; die Beendigung kriegerischer Konflikte und die friedenserhaltende Missionen stellen seither eine der wichtigsten Aufgaben der Weltorganisation dar.
Hatten die Großmächte in dieser Frage noch an einem Strang gezogen wurde die Weltorganisation bald von mehreren Entwicklungen überschattet, die mit dem Kalten Krieg, dem alle Politikbereiche erfassenden ideologischen Systemkonflikt zwischen dem Kommunismus und den westlichen liberalen Demokratien und ihren Verbündeten, in Zusammenhang standen. Eines der ersten Anzeichen dafür war der rasch zunehmende Missbrauch des Vetos: so blockierte die UdSSR die Aufnahme prowestlicher Staaten in die UNO,[6] um so das Stimmgewicht in der Organisation zu beeinflussen. Die westlichen Staaten hielten hingegen an der Vertretung Chinas durch die dessen Nationalregierung fest, auch nachdem diese 1949 von den Kommunisten in einem jahrelangen Bürgerkrieg vom Festland auf die Insel Taiwan vertrieben worden war, worauf die stalinistische Sowjetunion mit einem Boykott des Sicherheitsrates antwortete, um so die Aufnahme der Volksrepublik China zu erzwingen.
Zur Eskalation gelangten die Spannungen anlässlich des von Stalin und der kommunistischen Volksrepublik China unterstützten Überfalls des kommunistischen Nordkoreas unter Kim Il-Sung auf das prowestliche Südkorea im Juni 1950. Aufgrund des sowjetischen Boykotts vom Veto befreit, konnten die Vereinten Nationen rasch die nötigen Resolutionen zur Verurteilung der Aggression und zur Entsendung der ersten friedenserzwingenden Mission verabschieden. Den von den USA angeführten UNO-Truppen im Gesamtumfang von bis zu einer Million Menschen aus 23 Staaten gelang es in schweren Kämpfen, die zahlenmäßig überlegene kommunistische Invasion zu stoppen. Nach dem Tode Stalins 1953 konnte ein Waffenstillstand geschlossen werden, der im Wesentlichen den territorialen Status quo ante wiederherstellte. Lie, der am 1. November 1950 von der Generalversammlung mit überwältigender Mehrheit um drei Jahre verlängert worden war, wurde aber von der Sowjetunion für seine tatkräftige Rolle bei der Verurteilung und Bekämpfung der Aggression boykottiert und zum Rücktritt am 10. November 1952 veranlasst. Seinen Nachfolger begrüßte er mit Glückwünschen für den „unmöglichsten Job der Welt“.
Dag Hammarskjöld, Sohn eines Ministerpräsidenten Schwedens und parteiloser Staatssekretär in mehreren sozialdemokratischen Regierungen, wurde am 7. April 1953 gewählt, nachdem Pearson, der später wie auch der Generalsekretär den Friedensnobelpreis erhielt, abermals blockiert worden war. Hammarskjöld erwies sich als glänzender Diplomat, der in heiklen Situationen brillant formulierte und Lösungen präzise vorbereitete. Dies kam ihm bei den zahlreichen internationalen Konflikten seiner Amtszeit zupass, die teils Resultate sowjetischer Politik waren wie die Niederschlagung des Ungarnaufstandes 1956 und die zweite Berlinkrise 1958–61 samt Errichtung der Berliner Mauer, teils aus der Entkolonisierung hervorgingen. War es bei ersteren nur möglich, vermittelnd oder humanitär zu wirken,[7] entsandte die UNO in den Nahen Osten und in den Kongo große friedenserhaltende Feldmissionen wie die UN Emergency Force (UNEF) von 6.000 Soldaten, die 1956–67 an der Waffenstillstandslinie des Sues-Krieges zwischen Ägypten, den Palästinensergebieten und Israel auf der Sinai-Halbinsel und im Gasa-Streifen stationiert wurde, um ein Wiederaufflammen der Kämpfe zu verhindern, und die Opération des Nations Unies au Congo (ONUC) mit bis zu 20.000 „Blauhelmen“ zur Wiederherstellung der Sicherheit im von gewaltsamen Unruhen und Sezessionskonflikten erschütterten Kongo 1960–64. Hatten die USA beim UN-Kampfeinsatz in Korea die Hauptlast getragen, so beteiligten sich bei Friedenseinsätzen in weiterer Folge vor allem mittlere und sogar kleinere Staaten wie auch Österreich.[8]
Wie bereits Lie wurde allerdings auch der 1958 einstimmig wiedergewählte Hammarskjöld für seinen Einsatz für den Frieden nicht allseits geschätzt, sondern mancherorts angefeindet. Der sowjetische KP-Chef Nikita Chruschtschow, der mit dem Verhalten der UNO in der Kongo-Krise unzufrieden war, erklärte: „Ich spucke auf die UNO … Der Nichtsnutz Ham[marskjöld] steckt seine Nase in Sachen, die ihn nichts angehen … Wir werden ihm einheizen.“[9] Der sowjetische Vorschlag, den Generalsekretär durch eine Troika aus je einem Vertreter eines westlichen, eines kommunistischen und eines neutralen Landes zu ersetzen (was das Generalsekretariat ähnlich blockiert hätte wie den Sicherheitsrat), scheiterte aber. Auch im Kongo selbst wurde Hammarskjölds Einsatz nicht allseits willkommen geheißen und der Generalsekretär kam im Zuge eines vermutlich von Rebellen gewaltsam herbeigeführten Flugzeugabsturzes ums Leben.
Seinem Nachfolger, dem burmesischen Botschafter bei der UNO Sithu U Thant, der am 3. November 1961 einstimmig gewählt wurde, kam es zu, stärker im Hintergrund zu wirken. In seine Amtszeit fielen Vermittlungsversuche in der Kuba-Krise im Oktober 1962, im Krieg zwischen dem kommunistischen Nordvietnam, das von der UdSSR und der Volksrepublik China unterstützt wurde, und dem prowestlichen Südvietnam, an dessen Seite die USA in den Krieg eintraten, sowie die Entsendung der UN Peacekeeping Force in Cyprus (UNFICYP) auf die von Unruhen zwischen der griechischen und der türkischen Volksgruppe erschütterte Insel 1964. Gleichzeitig verschoben sich das Stimmgewicht und die Interessenlage innerhalb der Generalversammlung durch die Aufnahme zahlreicher ehemaliger Kolonien, die eigene, auf die Entwicklung abzielende Interessen in die UNO einbrachten, wie sich in der 1964 als ständiges Organ der Generalversammlung begründeten UN Conference on Trade and Development (UNCTAD) zeigte. Eine zweite tektonische Machtverschiebung in U Thants Amtszeit war die Aufnahme der Volksrepublik China als Mitglied der UNO und des Sicherheitsrates, bei gleichzeitiger Entfernung der Republik China (Taiwan) durch die Generalversammlung am 25. Oktober 1971. Kritiker dieser Entscheidung weisen darauf hin, dass es sich dabei faktisch um einen Ausschluss eines de facto souveränen Staates handelte, wozu die UNO lediglich im Falle einer groben Verletzung der Charta befugt sind, der allerdings von Seiten Taiwans nicht vorlag. Peking versuchte jedenfalls, U Thant zu einer dritten Amtszeit zu überreden, was er aber ablehnte.
Im Kampf um seine Nachfolge setzte sich gegen den in Abstimmung führenden, aber durch ein Veto blockierten Argentinier Carlos Ortíz de Rojas schließlich Kurt Waldheim durch, der 1964–68 und 1970–71 als Botschafter und dazwischen parteiloser Außenminister in der konservativen Regierung Josef Klaus gewirkt hatte und mit dem erklärten Ziel nach New York gekommen war, Generalsekretär zu werden. Peking hatte auf Waldheims Kandidatur anfangs zurückhaltend reagiert, da bereits zwei Europäer an der Spitze der UNO gestanden waren. Der Österreicher „galt als geschickter Berufsdiplomat, als Schwäche vermerkten seine Kritiker unter den UN-Insidern sein Bedürfnis, eine herausragende persönliche Rolle bei Verhandlungen zu spielen“.[10] Tatsächlich war er bisher durch den Versuch, die Friedensverhandlungen für Vietnam nach Wien zu bekommen,[11] und ansonsten als eher entgegenkommend gegenüber der Sowjetunion aufgefallen,[12] beispielsweise als er sich anlässlich des sowjetischen Einmarsches in der Tschechoslowakei 1968 gegen einen Grenzsicherungseinsatz des Bundesheeres aussprach.
Seine Erwartungen schilderte Waldheim rückblickend: „Gefeit davor, mich in unerfüllbaren Illusionen zu wiegen, war ich aber auch nicht bereit, in das andere Extrem zu verfallen und mein Amt in innerer Resignation, mit Zynismus oder falschem Pathos zu erfüllen… So sehr die UNO bisweilen einem Chaos widersprüchlichster Interessen gleichen mochte – sie hatte über die Zeit hinweg doch auch ein Stück Gemeinschaftsgeist entwickelt, eine Art von kollektivem Bewußtsein. Ihre Dynamik und ihre Fähigkeit zur Konfliktlösung hing in einem gewissen Ausmaß auch vom Einfallsreichtum des Generalsekretärs und seiner Mitarbeiter ab. Sie konnten politische Prozesse kanalisieren, konnten Konfrontationen verhindern und für manch umstrittene Frage auch Kompromißlösungen bereiten, die letztlich selbst bei schwierigsten Problemen noch gemeinsame Beschlüsse ermöglichten.“[13]
Auch die Amtszeit der 1976 wiedergewählten vierten Generalsekretärs war von zahlreichen Krisen durchwachsen: Zwischenerfolge in der Zypernkrise wurden vom griechisch-zypriotischen Putsch und von der türkischen Invasion im Juli 1974 zunichte gemacht; auf den Jom-Kippur-Krieg arabischer Staaten gegen Israel 1973 folgte die Stationierung der UN Disengagement Observer Force (UNDOF) mit österreichischer Beteiligung auf den Golan-Höhen an der Waffenstillstandslinie zwischen Israel und Syrien. Vermittlungsversuche im Westsahara-Problem, in Afghanistan und im irakisch-iranischen Golf-Krieg blieben erfolglos. Als Erfolge waren die Befreiung von Geiseln aus Algerien 1977, der Einsatz für die Menschenrechte, für politische Gefangene in Chile, vietnamesische Boatpeople und Flüchtlinge aus Kambodscha zu vermerken.[14] Die Übereinstimmung mit Österreichs Bundeskanzler Bruno Kreisky war laut Einschätzung des Historikers Manfried Rauchensteiner sehr weitgehend, wie sich etwa bei der Errichtung der von der Regierung Klaus beschlossenen Wiener UNO-City 1973–79,[15] aber auch in Bezug auf das Nahost-Problem zeigte, als die an zahlreichen Terroranschlägen beteiligte Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) 1974 zum Entsetzen Israels und westlicher Staaten den Beobachterstatus bei der UNO erhielt.[16]
Eine zweite Wiederwahl Waldheims, dem als ehemaligem deutschen Subalternoffizier im Zweiten Weltkrieg wiederholt die Mitwisserschaft von Verbrechen an der jüdischen Bevölkerung Griechenlands vorgeworfen wurde, wurde dennoch erwogen, scheiterte aber wohl vor allem an dem Wunsch, wieder einen Nichteuropäer ans Steuer zu lassen. Die Wahl 1981 fiel in der 17. Abstimmung auf den aus Peru stammenden langjährigen Untergeneralsekretär der Vereinten Nationen, Javier Pérez de Cuéllar, der als Vermittler in Zypern und Afghanistan Verdienste erworben hatte und 1986 im Amt bestätigt wurde. Neuerlich zogen Zypern und die Westsahara die Aufmerksamkeit auf sich, sodann der argentinisch-britische Falkland-Krieg und die Unabhängigkeit Namibias.
Weltpolitisch entscheidender war allerdings, dass durch einen tiefgreifenden Politikwandel in der Sowjetunion unter Michail Gorbatschow ab 1986, die „Perestrojka“ und das „Neue Denken“, der Kalte Krieg beendet werden konnte. In Zusammenarbeit mit den USA unter Ronald Reagan wurden ferner ganze Waffengattungen wie die nuklearen Mittelstreckenraketen abgerüstet. Zwar steckte die UNO in einer organisatorischen Krise, doch die USA, die traditionell circa ein Viertel des gesamten Budgets finanziert hatten, und die Sowjetunion sagten zu, zurückgehaltene Beiträge zu zahlen. Viel wichtiger war aber: Das Ende der Vetopolitik und der Irak-Krieg 1990 zur Befreiung Kuwaits von irakischer Annexion ließen die Hoffnung aufkeimen, dass die Vereinten Nationen endlich ihrer Bestimmung gerecht werden und ein unparteiisches Gremium zur Sicherung des Weltfriedens und zur Bestrafung von Friedensbrechern sein könnten. Den Bedarf nach einer solchen Organisation bewies nicht zuletzt die sprunghafte Zunahme massiver Menschenrechtsverletzungen, ethnischer und religiöser Gewalt, von Bürgerkriegen, failed states und humanitären Katastrophen in den 1990er Jahren.
Ausblick und Zusammenfassung
Auch heute ist der Bedarf nach einer solchen Organisation ungebrochen. Das Wachstum der UNO zeigt, dass die Organisation neue Fragestellungen aufgreift. Hingegen sind die obersten Entscheidungsstrukturen im Zustand von 1945 eingefroren, da wohl kein permanentes Mitglied des Sicherheitsrates auf seinen Status verzichten und andererseits jeder bei der Schaffung neuer permanenter Sitze stets die Auswirkungen auf das Machtgefüge berücksichtigen wird. So forderten Japan und das wiedervereinigte Deutschland, die nach den USA und China den dritt- und viertgrößten Anteil der UNO-Kosten tragen, seit den 1990er Jahren mehr Mitsprache. Ähnliche Ansprüche wurden und werden mit Bezug auf südliche Schwergewichte wie Indien oder Brasilien formuliert. Unter den permanenten Sicherheitsratsmitgliedern sind Großbritannien und Frankreich zwar Atom-, aber längst keine Weltmächte mehr.
Die Vereinten Nationen sind weiterhin ein globales vielfältiges Forum zur Verhandlung für Interessen. Sie sind nicht unfehlbar und ihre Beschlüsse repräsentieren nicht mehr und nicht weniger als die Meinung einer Mehrheit der Mitglieder des Sicherheitsrates oder der Generalversammlung. Dabei hat sich oft die richtige Entscheidung durchgesetzt, oft wurde diese aber auch durch ein Veto verhindert oder hat die Mehrheit falsche Beschlüsse gefasst. Vetos wurden von der Sowjetunion seit 1946 eingelegt; von Großbritannien und Frankreich im Sues-Krieg 1956, von den USA in den ersten 25 Jahren der UNO nicht;[17] danach dienten sie u.a. dazu, Verurteilungen Israels durch die Mehrheit arabischer Staaten zu verhindern.
„Gerichtssaal der Weltöffentlichkeit“ hat der US-Botschafter Adlai Stevenson die UNO genannt, als er während der Kuba-Krise seinen sowjetischen Kontrahenten Walerian A. Sorin ins Verhör nahm.[18] Das „Gericht“ kann allerdings nur im seltensten Falle Strafen verhängen und so dem Recht zum Durchbruch verhelfen. Die von Wilson und Roosevelt vorgesehene Organisation zur Isolation, Abwehr und Bestrafung von Aggressorstaaten hat diese Aufgaben nur in Ausnahmefällen wie im Korea-Krieg oder im Kuwait-Krieg erfüllt. Hatte der Völkerbund die Sowjetunion infolge ihres Winterkrieges gegen Finnland ausgeschlossen, so tat dies die UNO nur in Bezug auf Taiwan und das ohne rechtliche Grundlage. Diese zum Teil auf das Vetorecht in eigenen Streitfällen, zum Teil aber auf Mehrheitsentscheidungen zurückzuführende Prinzipienschwäche der Vereinten Nationen mag durchaus zu ihrer Langlebigkeit beigetragen haben, blieben doch Aggressionen – unter anderem von Seiten permanenter Mitglieder des Sicherheitsrates – je nach Mehrheits- und Interessenlage in Generalversammlung und Sicherheitsrat unbeachtet bzw. ungesühnt.
Dennoch erkannte bereits US-Präsident Dwight D. Eisenhower: „Bei allen Fehlern, bei allem Versagen, die wir den Vereinten Nationen vorwerfen können, ist sie immer noch die am besten organisierte Hoffnung der Menschheit, das Schlachtfeld durch den Konferenztisch zu ersetzen.“[19] So erlaubt beispielsweise die Vermittlung der Vereinten Nationen Konfliktparteien, gesichtswahrend Vorschläge anzunehmen, die sie ansonsten ablehnen würden. Wenn aber nur eine einzige Konfliktpartei an einer friedlichen Lösung nicht interessiert ist, bleibt die Vermittlung zum Scheitern verurteilt. Die Bilanz der Weltorganisation ist somit gemischt. Dennoch besteht Konsens, dass es besser sei, sie zu haben, als ohne sie auskommen zu müssen. Oder wie einer der Vordenker der Atlantik-Charta, der britische Ministerpräsident Winston S. Churchill, es mit der ihm eigenen Formulierungsgabe ausdrückte: „The UN was set up not to get us to Heaven, but only to save us from Hell.“[20]
Literatur
Ilya V. Gaiduk, Divided Together: The United States and the Soviet Union in the United Nations, 1945–1965, Stanford: University Press 2012.
Maximilian Graf/Wolfgang Mueller, An Austrian Mediation in Vietnam? The Superpowers, Neutrality, and Kurt Waldheim’s Good Offices, in Neutrality and Neutralism in the Global Cold War: Between or Within the Blocs, ed. Sandra Bott/Jussi Hanhimaki/Janick Schaufelbuehl/Marco Wyss, London: Routledge, 2016, 127-143.
Georg Kastner, Ungarn 1956 vor der UNO, Innsbruck: Studienverlag 2010.
Paul Kennedy, Parlament der Menschheit: Die Vereinten Nationen und der Weg zur Weltregierung, München: C.H. Beck 2007.
Wolfgang Mueller, A Good Example of Peaceful Coexistence? The Soviet Union, Austria, and Neutrality, 1955–1991, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2011.
Serhii Plokhy, Yalta: The Price of Peace, London: Penguin 2011.
Manfried Rauchensteiner, Unter Beobachtung: Österreich seit 1918, Wien: Böhlau 2017.
Erwin Schmidl, Blaue Helme, Rotes Kreuz: Das österreichische UN-Sanitätskontingent im Kongo, 1960 bis 1963, Innsbruck: Studienverlag 2013.
Erwin Schmidl, Wien als internationales Zentrum, in Wien: Die Metamorphose einer Stadt, Geschichte der österreichischen Bundesländer seit 1945, Band 6/9, ed. Michael Dippelreiter, Wien: Böhlau 2013, 703-730.
Helmut Volger, Geschichte der Vereinten Nationen, 2. Aufl., München: Oldenbourg 2008.
Kurt Waldheim, Im Glaspalast der Weltpolitik, Düsseldorf: Econ 1985.
[1] Von den 26 Unterzeichnern der Deklaration der Vereinten Nationen (1942) und 21 beigetretenen Staaten nahm Polen nicht an der Unterzeichnung der Charta der Vereinten Nationen (1945) teil und unterzeichnete diese als 51. Staat zwei Monate später. Dafür nahmen an der Unterzeichnung der Charta Dänemark, Argentinien, Belarus und die Ukraine teil, welche die Deklaration nicht unterzeichnet hatten. Die 51 Gründerstaaten sind: Ägypten, Argentinien, Äthiopien, Australien, Belarus, Belgien, Bolivien, Brasilien, Chile, China, Costa Rica, Dänemark, Dominikanische Republik, Ecuador, El Salvador, Frankreich, Griechenland, Guatemala, Haiti, Honduras, Indien, Irak, Iran, Jugoslawien, Kanada, Kolumbien, Kuba, Libanon, Liberia, Luxemburg, Mexiko, Neuseeland, Nicaragua, Niederlande, Norwegen, Panama, Paraguay, Peru, Philippinen, (Polen), Saudi-Arabien, Südafrika, Syrien, Tschechoslowakei, Türkei, Ukraine, die Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken, Uruguay, Venezuela, das Vereinigte Königreich von Großbritannien und Nordirland, die Vereinigten Staaten von Amerika. Die UNO-Mitgliedschaft der beiden faktisch nicht souveränen Sowjetrepubliken Belarus und Ukraine war ein Zugeständnis an die UdSSR, welche die Mitgliedschaft ihrer damals 16 Teilrepubliken gefordert hatte.
[2] Serhii Plokhy, Yalta: The Price of Peace, London: Penguin 2011, S. 400.
[3] Ilya V. Gaiduk, Divided Together: The United States and the Soviet Union in the United Nations, 1945–1965, Stanford: University Press 2012, S. 26.
[4] Paul Kennedy, Parlament der Menschheit: Die Vereinten Nationen und der Weg zur Weltregierung, München: C.H. Beck 2007, S. 75.
[5] United Nations, United Nations Charter (full text), 26 June 1945, https://www.un.org/en/about-us/un-charter/full-text.
[6] Gaiduk, Divided Together, S. 92.
[7] Georg Kastner, Ungarn 1956 vor der UNO, Innsbruck: Studienverlag 2010.
[8] Erwin Schmidl, Blaue Helme, Rotes Kreuz: Das österreichische UN-Sanitätskontingent im Kongo, 1960 bis 1963, Innsbruck: Studienverlag 2013.
[9] Gaiduk, Divided Together, S. 257.
[10] Helmut Volger, Geschichte der Vereinten Nationen, 2. Aufl., München: Oldenbourg 2008, S. 143.
[11] Maximilian Graf/Wolfgang Mueller, An Austrian Mediation in Vietnam? The Superpowers, Neutrality, and Kurt Waldheim’s Good Offices, in Neutrality and Neutralism in the Global Cold War: Between or Within the Blocs, ed. Sandra Bott/Jussi Hanhimaki/Janick Schaufelbuehl/Marco Wyss, London: Routledge, 2016, 127-143.
[12] Wolfgang Mueller, A Good Example of Peaceful Coexistence? The Soviet Union, Austria, and Neutrality, 1955–1991, Wien: Verlag der Österreichischen Akademie der Wissenschaften 2011, S. 168.
[13] Kurt Waldheim, Im Glaspalast der Weltpolitik, Düsseldorf: Econ 1985, S. 74f.
[14] Volger, Geschichte der Vereinten Nationen, S. 148, 158.
[15] Erwin Schmidl, Wien als internationales Zentrum, in Wien: Die Metamorphose einer Stadt, Geschichte der österreichischen Bundesländer seit 1945, Band 6/9, ed. Michael Dippelreiter, Wien: Böhlau 2013, 703-730.
[16] Manfried Rauchensteiner, Unter Beobachtung: Österreich seit 1918, Wien: Böhlau 2017, S. 397, 406
[17] Kennedy, Parlament, S. 74.
[18] Gaiduk, Divided Together, S. 282. Die berühmt gewordene Frage Stevensons lautete: „Leugnen Sie, dass die Sowjetunion Atomraketen auf Kuba stationiert hat – ja oder nein? Warten Sie nicht auf die Übersetzung! Ja oder nein?“
[19] Kennedy, Parlament, S. 68.
[20] Gaiduk, Divided Together, S. 300.