Forschungen aus dem Archiv. IIgnaz Seipel. Die Stabilisierung der Ersten Republik.
Mit den Referenten Lothar Höbelt, Franz Schausberger und Johannes Kalwoda fand am 05. Mai 2023 vor rund 60 Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Veranstaltung „Ignaz Seipel. Die Stabilisierung der Ersten Republik.“ statt. Bereits vor einem Jahr setzte das Vogelsang-Institut eine Vielzahl an Schwerpunkten, die sich mit dem Leben und dem politischen Schaffen von Ignaz Seipel auseinandersetzten. Der äußere Rahmen dafür war vorgegeben. 2022 jährte sich zum 100. Mal die politische Leistung Seipels, die zur wirtschaftlichen und finanzpolitischen Sanierung Österreichs führte, die sgn. „Genfer Sanierung“, oder richtiger die Unterzeichnung der Genfer Völkerbund-Protokolle, und vor 90 Jahren verstarb der wohl bedeutendste und umstrittenste Bundeskanzler und Priesterpolitiker der Ersten Republik.
Diese Veranstaltung im Rahmen des Formats „Forschungen aus dem Archiv“ stellte gewissermaßen den Abschluss dieses Jubiläums dar. Im Jahre 2017 begann Prof. Lothar Höbelt mit der Aufarbeitung der entscheidenden Protokolle an der Epochenwende vom Ende der Monarchie hin zu den ersten Schritten der jungen Republik. Vor allem beziehen sich seine Forschungen auf die Zeit der gemeinsamen Klubsitzungen der Christlichsozialen und der Großdeutschen während der Jahre 1918/19. Dieses Werk mit dem Titel „Klubprotokolle der Christlichsozialen und Großdeutschen 1918/19“ erschien im Seipel-Jubiläumsjahr 2022 und gehört mit Sicherheit zu den gewichtigsten Büchern, die das Institut in der letzten Zeit herausgegeben hat bzw. vorstellen durfte.
Die beiden Referenten dieser Veranstaltung gelten als ausgewiesene Experten auf dem Gebiet der österreichischen Geschichte: Univ.-Prof. Dr. Franz Schausberger, Präsident des Vogelsang-Instituts, forschte der Persönlichkeit Ignaz Seipels aus der modernen, heutigen Sicht nach. Als früherer Landeshauptmann von Salzburg, wo im übrigen Ignaz Seipel seine ersten akademischen Schritte gesetzt hatte, kennt Franz Schausberger beides: Die österreichische Politik, das bedeutet Innen- und Außenpolitik sowie die Vielfalt der Geschichtswissenschaft. Das Werk von Franz Schausberger über Bundeskanzler Rudolf Ramek gilt darüber hinaus als Standardwerk zur Geschichte der 1920er Jahre in Österreich, und war auch zu einem großen Teil mit Quellenmaterialien des KvVI-Archivs erarbeitet worden.
Univ.-Prof. Dr. Lothar Höbelt bietet ein wissenschaftliches Lebenswerk, das weit über das 20. Jahrhundert hinausgeht. Zu seinen Schwerpunkten zählt die europäische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts ebenso, wie wirtschaftshistorische Entwicklungen und Ideologiegeschichte.
Beide Referate gingen den Ursachen und den Folgen der Politik Seipels nach. Was blieb also von den Visionen Seipels 90 Jahre nach seinem Tod? Die Versuche, einen Bürgerblock unter bewusster Absenz linker Strömungen zu bilden, waren damals aktuell und sind es heute. Wirken Seipels Versuche in der Retrospektive nur polarisierend oder können sie uns Aufschlüsse über allgemeine Entwicklungen geben, was in diesem Land historisch gesehen möglich oder nicht möglich war?
Das Institut versuchte für diesen Veranstaltungsabend auch einen würdigen historischen Rahmen zu bieten. Im Foyer unterstrichen zeitgenössische Plakate und Karikaturen die Polarisierung der österreichischen Innenpolitik von der Gründung der Republik bis zur Mitte der 1930iger Jahre; darüber hinaus zeigten mehrere Vitrinen Lebensstationen von Seipel und Beispiele der politischen Frontstellung in der Zwischenkriegszeit.