Im Wiener Stephansdom fand am 7. Oktober 2013 (zur Einladung ) aus Anlass der 75. Wiederkehr des Rosenkranzfestes 1938 und der sich daran anschließenden Demonstration tausender katholischer Jugendlicher gegen das NS-Regime ein Gedenkgottes- dienst mit Kardinal Schönborn und eine wissenschaftliche Enquete statt. In seiner historischen Einleitung steckte der Geschäftsführer des Karl von Vogelsang-Instituts, Helmut Wohnout, den historischen Rahmen des Ereignisses von vor 75 Jahren ab.
Unter anderem führte er aus: „Versuchen wir eingangs kurz, den 7. Oktober 1938 in einen größeren historischen Kontext zu stellen: Nur wenige Tage zuvor, am 30. September 1938 hatten die europäischen Großmächte, England, Frankreich, Italien und das Deutsche Reich das sogenannte Münchner Abkommen unterzeichnet. Eine monatelange Krise hatte mit einem diplomatischen Triumph des nationalsozialistischen Deutschland geendet. Die mehrheitlich deutschsprachigen Gebiete der Tschechoslowakei wurden dem Deutschen Reich angegliedert. Hitler hatte sich gegenüber den Westmächten durchgesetzt. Das nationalsozialistische Deutschland stand am vorläufigen Höhepunkt seiner Macht.
Es war keine gute Zeit für Oppositionelle, im Gegenteil. Hitler war im Kreis
der Staatsführer anerkannt wie noch nie zuvor während seiner Kanzlerschaft und
es war opportun, sich darauf einzustellen, dass der Anschluss und die
NS-Herrschaft ein Definitivum darstellen würde. Viele meinten, es sei klug,
sich zu arrangieren. Und diejenigen, die anderer Meinung waren, behielten diese
besser für sich.
Und dann plötzlich, der 7. Oktober 1938: Tausende junge Menschen strömten aus
allen Himmelsrichtungen kommend in den Dom. Was sie einte, war ihr katholischer
Glaube. Nicht die brutalen Thesen des germanischen Neuheidentums und der
NS-Ideologie entsprachen ihrem Denken und Fühlen, sondern die Gebote der
christlichen Menschen- und Nächstenliebe. Wider alle Opportunität verweigerten
sie sich der Doktrin des Herrenmenschen und jenes Rassenwahns, der nur wenige
Wochen später im blutigen Novemberpogrom gegenüber der jüdischen Bevölkerung
seine Gewaltbereitschaft, seine Zerstörungswut und Menschenverachtung offen und
im großen Stil zur Schau stellen sollte.
Aber es war neben ihrem Glauben noch etwas anderes, das die jungen Gläubigen
auf den Stephansplatz trieb: eine Sehnsucht nach Heimat, nach ihrer Heimat. Und
als diese Heimat konnten und wollten sie nicht das Großdeutsche Reich
empfinden, von dem aus ihnen seit einem halben Jahr vorexerziert wurde, dass
sie nun im Kollektiv einer imaginierten Deutschen Volksgemeinschaft aufzugehen
hätten.
Das Karl von Vogelsang-Institut hat in den vergangenen zwei Jahren im Rahmen
eines breit angelegten Oral-history Zeitzeugenprojekts mit den wenigen noch
lebenden Teilnehmern der Andacht und der Kundgebung danach deren Motive und
Beweggründe erforscht. Dabei wurde eines deutlich. Es war für fast alle neben
ihrem Bekenntnis zum Glauben auch ein Bekenntnis zu Österreich, das sie zu
ihrem Weg in den Dom zu St. Stepan motivierte.
Im kleineren Umfang hatte es schon in den Jahren 1935 und 1936 in Münster
Kundgebungen von katholischen Jugendlichen mit Bischof Galen gegeben, die sich
gegen die NS-Herrschaft gerichtet hatten. Aber was das Ausmaß und die
zahlenmäßige Dimension des Bekenntnisses vom 7. Oktober betrifft, so bleibt die
spontane Kundgebung auf dem Stephansplatz die größte oppositionelle
Demonstration gegen den Nationalsozialismus, die während der 12jährigen
Geschichte des Dritten Reiches je stattgefunden hatte. Mehr noch, sie wurde im
Selbstverständnis ihrer Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum Ausgangspunkt eines
neuen Österreichbewusstseins. Der Dom zu St. Stephan wurde mit dem 7. Oktober
1938, wie Hannes Schönner in der Begleitpublikation zum heutigen Abend
schreibt, zu einem Symbol des österreichischen Widerstandes. Zu Recht erinnert
bis zum heutigen Tag das an der Außenmauer des Doms eingeritzte 05 an die
Opfer von Verfolgung und Widerstand gegen das nationalsozialistische Unrecht in
Österreich.“