Vor über hundert interessierten Gästen spannte sich im Zeitzeugengespräch mit Vizekanzler a.D. Dipl.-Ing. Josef Riegler ein spannender zeitlicher Längsschnitt, der von den frühen 1970er Jahren bis hinein in die Gegenwart reichte. Geschäftsführer Priv.-Doz. Dr. Helmut Wohnout konnte neben dem Direktor der Politischen Akademie, Dr. Dietmar Halper, auch Vizekanzler a.D. Dr. Alois Mock und dessen Gattin, Frau Dr. Edith Mock an diesen Abend begrüßen.
Das Gespräch setzte mit der persönlichen Sozialisation Rieglers in dessen steirischer Heimat an. Politisch wurde Riegler nachhaltig während seiner Studienjahre in Wien auf der Hochschule für Bodenkultur und seinem Engagement in der Katholischen Hochschulgemeinde und der Katholischen Aktion geprägt. Hier kam Josef Riegler unter der umsichtigen Leitung des legendären Hochschulseelsorgers Karl Strobl mit jungen Menschen wie Erhard Busek oder Wolfgang Schüssel in Kontakt, deren Wege sich im Rahmen ihrer politischen Tätigkeiten Jahre später wieder kreuzen sollten.
Riegler kam 1975 in den Nationalrat und hatte bald Gelegenheit die österreichische Innenpolitik als langjähriger Agrarsprecher der Volkspartei aus der Sicht der Opposition mitzutragen. 1983 wechselte Riegler in die Steirische Landesregierung und wurde Agrarlandesrat. Ein Markenzeichen seiner Politik war bereits damals, Umweltschutzmaßnahmen mit Innovationen in der Industrie zu verknüpfen. Mehr als das: In seinem Engagement für die „Lebenschancen im ländlichen Raum“, sowie Regionalprojekten wie die Sanierung der Mur und der Raab, sieht Riegler nicht nur heute noch schöne Erfolge, sondern auch den Beginn einer Politik, die Jahre später als „Ökosoziale Marktwirtschaft“ zu einem politischen Postulat wurde.
Nach der Nationalratswahl 1986 gehörte Riegler zum innersten Führungskreis der Volkspartei. Bundesparteiobmann Alois Mock war es, der Riegler in der neugebildeten SPÖ-ÖVP-Regierung zum Landwirtschaftsminister machte. Einmal mehr betonte Riegler sein politisches Credo: die Sprache des Marktes muss in Richtung des Umweltschutzes angepasst werden, soziales Engagement für die Klein- und Bergbauern, sowie nachhaltige Lebensführung. Mit mehr finanziellen Mittel hätte er als Landwirtschaftsminister zur Erreichung dieser Ziele noch mehr beitragen können. Mit einem Augenzwinkern bezeichnete Riegler sein Verhältnis zu Finanzminister Ferdinand Lacina „als kompliziert, aber konstruktiv“.
Angesprochen auf die Bruchstellen, die die Stationierung von Abfangjägern Mitte der 1980er Jahre in der Steiermark zur Konsequenz hatten, zeigte Riegler Verständnis sowohl für seine steirischen Landsleute um Landeshauptmann Krainer jun., als auch für den damaligen Verteidigungsminister Robert Lichal. Die Konfliktlinie ging quer durch die Volkspartei und belastete damals ohne jeden Zweifel auch ihn als steirischen Bundespolitiker.
Ausführlich behandelte das Zeitzeugengespräch den Beginn der Verhandlungen mit der Europäischen Union. Dass Bundeskanzler Franz Vranitzky und andere SPÖ-Politiker sich erst nach und nach vom ÖVP-Standpunkt überzeugen ließen, war Mitte der 1980er Jahre von der Öffentlichkeit zu wenig wahrgenommen worden. Riegler reklamiert er es als seinen persönlichen Erfolg, dass das Modell der Ökosozialen Marktwirtschaft europaweit rezipiert wurde. „Das Konzept hat eingeschlagen, hat eine Welle der Begeisterung ausgelöst und europäisches Aufsehen erregt.“
Einen emotionalen Höhepunkt erreichte das Gespräch mit dem Wechsel des ÖVP-Bundesparteiobmanns im Jahre 1989 von Alois Mock hin zu Josef Riegler. Die dramatischen Tage und Stunden im Ringen um die Neuausrichtung an der Spitze der Volkspartei wurden besonders lebendig aufgrund der Tatsache, dass Alois Mock sich an diesen Abend unter den Zuhörern befand. „Wir alle haben versucht, keine persönliche Verwundung zuzulassen. Wenn ich es mir hätte aussuchen können, wäre ich gerne für zehn Jahre Landwirtschaftsminister geblieben. Aber es ist anders gekommen, ganz so wie in einer griechischen Tragödie.“ Rieglers Resümee in Richtung Alois Mock: „Was Mock als Außenminister machte, verdient heute noch das Prädikat historisch.“
Der Fall des Eisernen Vorhangs 1989 fiel in Rieglers Amtszeit als Vizekanzler, ebenso die ersten Schritte beim Aufbau demokratischer Strukturen in Mittel- und Ostmitteleuropa. Die beiden „Runden Tische Europa“ am Donauschiff Mozart Anfang der 1990er Jahre gelten bis heute als legendär. Seine Besuche in Polen, kurz nach der Wende, mit führenden Vertretern der Solidarnocs, blieben ihm unvergessen. Diese Kontakte bestärkten seinen Glauben an die Überlegenheit der demokratischen Gesinnung gegenüber jeglicher Gewalt und Willkür. Ebenso seine Überzeugung, „große Politik nur in kleinen Schritten“ erreichen zu können.