Bundeskanzler Ing. Leopold Figl ist einer der wenigen österreichischen Politiker aus der Frühzeit der Republik, der selbst jüngeren Menschen ein Begriff ist. Er steht für zeitlose Tugenden wie unerschütterlichen Patriotismus, persönliche Bescheidenheit, Unbeugsamkeit, Leidensfähigkeit – und einen tiefen Glauben im katholischen Sinne.
Ende des Jahres 2020 wurden Überlegungen bekannt, einen kircheninternen Prozess einzuleiten, an dessen Ende die Seligsprechung von Leopold Figl stehen soll. Treibende Kräfte hinter diesem Projekt sind der niederösterreichische Bischof von St. Pölten, Alois Schwarz und politische Kreise aus Figls Heimatbundesland. Hintergrund dieser Absicht sind mit Sicherheit ehrenwerte Motive, die das historische Vermächtnis Figls weiter vertiefen und absichern, und ihm zugleich eine Erhöhung zukommen lassen wollen, die eine “Verehrung am Altar” bedeutet. Gerade im Kreise des Österreichischen Cartellverbandes braucht nicht extra betont werden, dass es Figls Authentizität und seine Persönlichkeit waren, die nach 1945 Österreichs Unabhängigkeit, wohl im starken Verband mit anderen Patrioten, erkämpfte.
Für Leopold Figl war das Bekenntnis zur Kirche und zum Glauben nie ein eitler Glanz, sondern ein freies Bekenntnis, das weder einer Aufforderung bedurfte, noch eines Dankes verlangte. Sein berühmtes Wort an den Dompfarrer von St. Stephan, Karl Raphael Dorr, als kurz nach dem Krieg eine “Freiheitsprozession für Österreich” (Bauernbundwallfahrt 1947) geplant war und lange unklar blieb, ob die Alliierten es erlauben würden, und ob überhaupt Menschen sich trauen würden, hinter Figl und Dorr herzugehen, war bezeichnend. “Dann, Dorr, gehen wir beide eben alleine!”, soll Figl zu seinem Freund sinngemäß gesagt haben. Ein Bonmot, dessen Geisteshaltung für menschliche Aufrichtigkeit und Courage steht.
Leopold Figl tat wohl nie etwas, um Füllmaterial für spätere Biographen zu erbringen, sondern er handelte in einem eindeutigen Sinn, den er für richtig hielt. Seine noch wenige Stunden vor der Unterzeichnung des Österreichischen Staatsvertrages eingebrachte Forderung, den “Kriegsschuld-Passus” (Nennung der Mitschuld Österreichs am Zweiten Weltkrieg in der Präambel) herauszustreichen, war nicht die Tat eines späteren Seligen, sondern der Mut eines Menschen, der die Lehre aus der Vergangenheit gezogen hatte. Ohne dieser Streichung wollte der frühere KZler Leopold Figl den Staatsvertrag nicht unterschreiben. Es würde der Gegenwart gut zu Gesicht stehen, diesen Aspekt der Politik von Leopold Figl mehr zu betonen und weniger vordergründig durch das einseitige Hervorheben der “moralischen Schuld” Österreichs Figls heroische Leistung zu schmälern.
Für jeden historisch denkenden Menschen steht Leopold Figl schon längst am “Altar” der österreichischen Geschichte. Er hätte es wohl begrüßt, wenn seine Nachfolger in der Politik und der Gesellschaft ihre Entscheidungen im Sinne seiner leitenden Prinzipien gestalten würden. Und aus Kenntnis seiner Lebensgeschichte kann gesagt werden: Figl hätte sich wohl dagegen verwahrt, dass man mit seiner Person Politik macht. Aus großem und unerschütterlichem Respekt vor Leopold Figl kann folglich die Absicht einer (einzuleitenden) Seligsprechung nur kritisch gesehen werden.
Dr. Johannes Schönner
Geschäftsführer des Karl von Vogelsang-Instituts